Verein zur Förderung persönlichen Wachstums e.V.

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Erwin Kreim

Sammlung Briefsteller
Stellungnahmen zur Finanz- und Wirtschaftskrise

 

Zur Hauptseite Dr. Erwin Kreim

 

Die Zukunft EUROPAS

Hering im Odenwald, 2.7.2012

Die Veste Otzberg (352 m), ein weithin sichtbarer Vulkankegel, liegt heute in den Wolken, bietet weder Weitblick noch Orientierung. Ich empfinde es fast als ein Symbol für den Zustand Europas.

Wir kamen vor einer Woche von unserer Reise in die Kaukasusregion zurück. Die geo-politische Situation ist noch sehr instabil.

Eine für mich vollkommen unübersichtliche Lage.

Trotzdem gibt es wirtschaftliche Beziehungen: LKWs aus Russland und der Ukraine fahren durch Georgien nach Armenien. Eine neue Gas-Pipeline durch Georgien pumpt russisches Gas nach Armenien. In Armenien haben wir türkische LKWs überholt.

Was hat das mit Europa zu tun?

Wir vergessen zu schnell die Situation nach dem 2. Weltkrieg.

Dass wir heute in Westeuropa auf über 60 Jahre Frieden zurück blicken können, dass aus Erzfeinden befreundete Nachbarn geworden sind, ist das größte Geschenk für meine Generation. Unsere Kinder haben schon nichts anderes mehr erlebt. Sie finden es selbstverständlich, mit Ausländern befreundet zu sein und frei durch Europa zu reisen.

Die Kaukasus-Region hat nur eine Chance, die noch weit verbreitete Armut und politische Unsicherheiten zu überwinden, wenn die Länder, ähnlich wie in Europa, Fakten akzeptieren, derzeitige Grenzen anerkennen und durch wirtschaftlichen, wissenschaftlichen Austausch und persönliche Begegnungen Vorurteile abbauen und Vertrauen aufbauen.

Euro-Krisengipfel

In dieser Woche fand der x-te Krisengipfel zur Rettung des Euro statt. Die Presse berichtete, dass der italienische Ministerpräsident Monti unsere Kanzlerin "über den Tisch gezogen habe". Diese Berichte verunsichern die Bevölkerung, belasten das "Wir-Gefühl" in Europa. In den Verhandlungen zur "Rettung des Euro" kommt mir der Europa-Gedanke zu kurz. Dass in der Diskussion manchmal sehr leichtfertig gefordert wird, dieses oder jenes Land solle ausgeschlossen werden, zerstört wie fallende Dominosteine den Zusammenhalt. USA und England könnten durchaus ein Interesse an der Schwächung des Euro und damit Europas haben.

Dabei ist bei dieser Gipfelkonferenz etwas sehr Positives beschlossen worden. Die Nationalstaaten erklärten sich bereit, ihre Banken einer europäischen Bankenaufsicht zu unterstellen. Im Gegenzug können Banken von der EZB Unterstützung erhalten, damit sie ihre Grundfunktion, Kredite zur Finanzierung der Wirtschaft zu geben, nachkommen können. Damit wurde ein wesentlicher Schritt zur Integration Europas beschlossen.

Bei uns werden aber die damit evtl. verbundene Haftungen überbetont und Riesensummen in den Raum gestellt. Doch die Vorteile des Euro gerade für Deutschland werden übersehen. Mich erinnert die Situation der spanischen Banken, die zu großzügig Immobilienkredite vergeben haben, an den DAL-Skandal 1983. Das in Mainz ansässige Unternehmen hatte bei zu großzügigen Immobilienfinanzierungen über 1 Mrd. Verlust erlitten. Ein Vorstand hat sich erschossen. Die Muttergesellschaften stellten Kapital bereit , damit alle Gläubiger ihr Geld erhalten können. Später stellten sich Verluste als viel kleiner heraus. Und heute ist DAL ein angesehenes, erfolgreiches Unternehmen und zahlt seine Steuern.

Das "Wirtschaftswunder" bis ca. 1970 wurde wesentlich gefördert durch den festen Wechselkurs der DM (1 US-$ = DM 4,20!). Er begünstigte sehr deutsche Exporte. Ebenso begünstigt der Euro deutsche Exporte nicht nur in die Euroländer, sondern auch in den Dollarraum, weil z.B. der Euro von 1,50 auf 1,25 US-$ abgewertet wurde. Eine DM-Währung würde hingegen, ähnlich dem Schweizer Franken, aufgewertet und damit Exporte deutlich erschweren. Eine nationale Währung würde zum Spielball der Währungsspekulanten und könnte kaum von der Bundesbank beeinflusst werden. Die Senkung der Lohnstückkosten in Deutschland zur Stärkung der Wirtschaft wäre durch Aufwertungen verpufft.

Es gibt Berechnungen, dass eine Rückkehr zu nationalen Währungen drei Wirkungen hätte:

Dies führt zum Zerfall der europäischen Idee.

Die Diskussion wird aus meiner Sicht auch völlig falsch geführt.

Länder und Banken in den Ländern haben in großem Stil Anleihen aufgenommen, um Konsum und Infrastruktur zu finanzieren, Haushalte auszugleichen oder Banken vergaben Kredite für Fehlinvestitionen und verspekulierten sich. Dabei funktionieren doch auch die deutschen öffentlichen Haushalte und das Bankensystem so, dass bei Fälligkeiten von Anleihen der größte Teil durch Ausgabe neuer Anleihen finanziert wird. Die Rückzahlung aller Kredite am Fälligkeitstag ist überall in der Welt unmöglich. Damit haben die Anleger auch ein Problem, wenn sie etwas verlangen, was derzeit nicht möglich ist. Bei Unternehmen spricht man dann von Illiquidität.

Bei einer solchen Krise kommt es zuerst darauf an, eine "positive Fortführungsprognose" zu entwickeln, und daran wird in Europa zu wenig gearbeitet. Besonders in Griechenland wird zu wenig darauf hingewirkt, die Wertschöpfung zu erhöhen. Dafür sollten Mittel verfügbar gemacht werden. Dann kann im Gläubigerkreis besprochen werden, wie der Schaden für die Gläubiger so gering wie möglich gehalten werden kann. Dabei müssen bei Unternehmen auch die Interessen z.B. der Mitarbeiter und Lieferanten berücksichtigt werden.

Damit die Banken aber weiter ihre Funktion als Kreditgeber der Wirtschaft und der öffentlichen Haushalte erfüllen können, müssen ihnen Refinanzierungsmöglichkeiten zu normalen Zinsen ermöglicht werden. Diese Hilfen müssen aber von einer strengen europäischen Aufsicht kontrolliert werden, damit neue Gelder nicht wieder in Spekulationen und Klumpenrisiken landen.

Bei der Bankensanierung sollte nicht primär der Fokus auf der Erhöhung der Eigenkapitalquote liegen, sondern stärker auf der Begrenzung der Risiken der Aktivseite. Die jetzt beschlossene europäische Bankenaufsicht ist ein großer Schritt zur Stärkung Europas. Die Fiskalunion wird schwerer durchzuführen sein, weil nationale Staaten dazu ihre Haushaltsrechte aufgeben müssen. Das wird nur mit demokratischer Zustimmung umzusetzen sein, was bei einer verängstigten Bevölkerung derzeit schwer vorstellbar ist.

Die positiven Aspekte der europäischen Einigung gerade für Deutschland mit neun Nachbarländern müssen mehr ins Bewusstsein gerückt werden. Als größte Wirtschaftsmacht in Europa profitieren wir auch am stärksten von einer einheitlichen Währung. Im Nebeneffekt könnte die beschlossene europäische Bankenaufsicht auch dazu führen, dass England seine Banken dieser Aufsicht unterstellen muss, wenn sie nicht an Ansehen verlieren wollen.

Zusammenbruch des Finanz-Systems?

Wenn nun Prof. Sinn von den Billionen Einlagen redet, die über die EZB nun von Deutschland bezahlt werden müssen, dann ist offensichtlich, dass er von einem Zusammenbruch des Systems ausgeht. Aber das System muss nicht zusammenbrechen, wenn alle Beteiligten sich rational verhalten. Wo wollen denn künftig die Hedge-Fonds, die Versicherungen ihre Riesenvermögen anlegen? In England, USA, China, oder in der kleinen Schweiz?

Aber selbst der theoretische Zusammenbruch eines Finanzsystems muss nicht das Ende Europas bedeuten. Ich bin alt genug, mich zu erinnern, dass ich während meiner Lehrzeit mitgeholfen habe, Währungsreform, Altsparerentschädigung, Lastenausgleich abzuwickeln. Danach ging es wieder wirtschaftlich aufwärts. Auch Argentinien hat sich nach seinem Währungscrash bestens erholt.

Europa ist - im Weltmaßstab gesehen - ein friedlicher Wirtschaftsraum geworden mit einem funktionierenden Rechtssystem, relativ geringer Korruption, guter Infrastruktur, hohem Bildungsniveau und einer hohen Wertschöpfung. Wenn wir dieses System erhalten, werden die Geldanleger, auch Europäer, egal wie die Ratingagenturen benoten, ihre hohe Überliquidität weiter in Europa anlegen. Europa wird als starker Wirtschaftsraum mit demokratischen Strukturen attraktiv bleiben.

Die viel höher verschuldeten USA können ihre Kredite im Ernstfall auch nur tilgen durch Ausgabe neuer Dollar. Sie hat das Währungsmonopol. Die Hauptgläubiger der USA, China und die Ölstaaten haben auch ein Interesse, dass das System nicht zusammenbricht, solange die USA als großer Wirtschaftsraum noch gebraucht wird. Griechenland, Italien, Deutschland können diesen Weg aber nicht mehr gehen, denn nur die EZB kann Euro ausgeben.

Die positive Entwicklung in Europa ist das Ergebnis von Transferzahlungen, z.B. für die Landwirtschaft, also von Solidarität primär für strukturschwache Regionen. Die derzeitigen Gefahren entstanden durch maßloses Spekulieren in Banken (USA, Island, Irland, aber auch HRE, IKB, Dresdner Bank, SachsenLB) und mangelnde Haushaltsdisziplin. Überall wurde über viele Jahre mehr ausgegeben als eingenommen. Das belastet künftige Generationen und muss deshalb beendet werden. Die Banken müssen einer strengen Aufsicht insbesondere der Aktivseite unterworfen werden.

Meine Erfahrungen bei Unternehmenssanierungen belegen mir, dass eine Wiedererlangung der Marktfähigkeit nachhaltig nur über Einnahmeverbesserungen möglich ist. Ebenso müssen die Staaten alles daran setzen, Einnahmen zu erzielen, durch ein gerechtes Steuersystem und vor allem durch Verbesserung der Besteuerungsgrundlagen (Gewinne, Einkommen, Vermögen). Es ist zu hoffen, dass die von 25 Staaten beschlossene Schuldenbremse auch umgesetzt wird.

Gerade nach den Beobachtungen in den Kaukasus-Staaten wurde mir noch einmal mehr bewusst, wie wertvoll politisch und wirtschaftlich ein geeintes Europa für uns ist. Daran sollten wir von interessengeleiteten Ratingagenturen und Spekulanten nicht rütteln lassen.

Nachtrag

Altkanzler Helmut Schmidt stützt in seiner Dankesrede für die Verleihung des Eric M. Warburg-Preises vom 2.7.2012 meine Gedanken zur Zukunft Europas und führt weitere Argumente aus:

"Als alter Mann denkt man zwangsläufig in sehr langen Zeiträumen. Das gilt zunächst für die Vergangenheit. Ich habe den Marshallplan erwähnt, ich will ebenso an den Schuman-Plan 1952, an den Elysée-Vertrag 1963 erinnern, an Solidarnoscz und Charta 77 in den siebziger und achtziger Jahren, an das Jahr 1989/1990 und an die Wiederherstellung Europas und Deutschlands. Ich denke auch an Maastricht 1991/92 – damals waren wir nur 12, heute sind wir 27 Mitgliedsstaaten der EU. Und ich denke an die schweren Fehler und Unterlassungen, die damals geschehen sind.

Inzwischen haben im Jahre 2008 die G20-Staaten zwar eine Reihe von Banken gerettet. Aber eine tiefe ökonomische Rezession und hohe, Angst und Verzweiflung und sogar Rebellion auslösende Arbeitslosigkeit haben sie weder in den USA noch im Mittelmeerraum noch in vielen Staaten Europas verhindern können. Nach einem halben Jahrhundert seit Beginn der europäischen Integration finden wir uns in einer tiefgreifenden Krise fast aller europäischen Institutionen.

Mit der einzigen bisherigen Ausnahme der Europäischen Zentralbank haben die vertragsgemäßen Institutionen die öffentliche Meinung der europäischen Nachbarn ohne klare Führung gelassen. Auf die Bankenkrise, auf die Schuldenkrise, auf die katastrophal divergierende Auseinander-Entwicklung der nationalen Leistungsbilanzen haben die europäischen Organe immer wieder zu spät reagiert. Sie haben auch immer wieder allzu zaghaft reagiert. Wenn heute zwei der großen nationalen Volkswirtschaften unter einer 30- oder sogar 50-prozentigen Jugendarbeitslosigkeit leiden, dann sind Entschlußkraft und Opferbereitschaft dringend geboten. Man muß sein Herz über die Hürde werfen!

Zunächst kam die Globalisierung der Finanzmärkte. Es folgte sodann die globale Digitalisierung. Beide Entwicklungen schreiten fort. Nur sehr zögerlich hat bisher die öffentliche Meinung in den europäischen Nationen die gewaltigen kulturellen Konsequenzen dieser Entwicklungen verstanden. Noch zögerlicher begreift sie die gemeinsame Verantwortung für den Verbrauch der natürlichen Ressourcen – von der bedrohlichen Gefahr atomarer Waffen ganz zu schweigen.

Die für die europäische Kultur wichtigste und zugleich bedrohlichste Veränderung ist aber den europäischen Nationen überhaupt noch nicht bewußt. Ich spreche von der eindeutig bevorstehenden Gefahr einer Marginalisierung der europäischen Kultur. Denn die Explosion der Weltbevölkerung im Laufe des 20. Jahrhunderts ist noch immer nicht beendet! Gleichzeitig findet aber in allen europäischen Nationen Überalterung und Schrumpfung statt. Unsere Geburtenraten liegen seit Jahrzehnten weit unter der Bestandserhaltung.

Zweihundert Jahre haben die Europäer und Nordamerikaner das Schicksal fast der ganzen Welt bestimmt, sie hatten im 19. Jahrhundert sogar China kolonisiert. Aber seit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts ist die Weltbevölkerung um 400 Prozent gewachsen, von 1,6 Milliarden auf 6 Milliarden Menschen. Und sie wird bis zur Mitte dieses Jahrhunderts auf 9 Milliarden Menschen ansteigen. Die Bevölkerung der europäischen Nationen zusammen wird in diesem Zeitraum auf ganze 7 Prozent der Menschheit absinken. Und keine der europäischen Nationen wird auch nur ein einziges Prozent ausmachen. Der Anteil der Europäer an der globalen Wertschöpfung wird binnen vier Jahrzehnten auf 10% absinken – 1950 hatte er noch 30% ausgemacht.

Die demographischen Veränderungen werden auch die USA treffen; denn in der Mitte dieses Jahrhunderts werden Latinos und Afroamericans die Mehrheit der Wählerschaft darstellen. Und sie werden weniger außenpolitisch an Weltordnung und Weltmacht interessiert sein als vielmehr an innenpolitischer Gleichheit der sozialen Chancen.

Die Konsequenz für uns Europäer ist heute bereits ziemlich deutlich zu erkennen: Entweder setzen wir unsere Finanzkrise fort und kämpfen als einzelne Staaten um unser nationales Schicksal – mit schwindender Aussicht auf Erfolg. Oder wir finden zurück zum Konzept des fortschreitenden europäischen Verbundes.

Aber auch dann ist der Erfolg nicht binnen weniger Jahre zu erwarten. Wir brauchen Vernunft und Tatkraft - und Geduld. Denn nicht nur unsere Ökonomie ist gefährdet. Auch die kulturellen Werte der Europäer, die Würde und die Freiheitsrechte jedes einzelnen Menschen, die Werte der Aufklärung und der demokratische Sozialstaat stehen auf dem Spiel.

Wir Europäer stehen im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts vor einer notwendigen Erkenntnis: Während seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gute, ja zwingende Gründe der europäischen Geschichte uns zur Absicht der gegenseitigen Integration der Völker Europas geführt haben, während die große Hilfe Amerikas dabei von entscheidender Bedeutung gewesen ist, so werden in diesem Jahrhundert die weltweiten Prozesse uns Europäer gebieterisch zum Zusammenschluß drängen.

Wir werden dabei trotz Hitler, trotz Kolonialismus und Imperialismus, trotz Stalin, trotz Nero die Werte der alten Griechen und des Hellenismus festhalten, festhalten an Cicero und Marc Aurel, festhalten an den europäischen Grundwerten und Grundschriften, festhalten am Erbe Alighieri Dantes und William Shakespeares. Wir wollen weder Rousseau noch Montesquieu aufgeben, weder Erasmus noch David Hume noch Immanuel Kant. Wir wollen Abraham Lincoln die Treue halten und ebenso der Nähe zu Nordamerika.

Wir wollen unsere nationalen Identitäten bewahren – aber wir werden sie überwölben müssen durch das gemeinsame Zusammengehörigkeits-Bewußtsein der Europäer. Wir werden allerdings lernen müssen, den Aufstieg Chinas, Indiens oder Brasiliens in Gelassenheit zu ertragen - und ebenso den Aufstieg Indonesiens und ebenso anderer muslimischer Staaten. Und die Europäische Union wird kaum zu einer Weltmacht zusammenwachsen."

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