Verein zur Förderung persönlichen Wachstums e.V.

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Erwin Kreim

Sammlung Briefsteller
Stellungnahmen zur Finanz- und Wirtschaftskrise

 

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DIE USA UND EUROPA -PERSÖNLICHE ANMERKUNGEN

Hering im Odenwald, 27.1.2012 – Holocaust-Gedenktag

Heute Morgen wollte ich die Äste klein hacken, die ich vor 10 Tagen abgeschnitten hatte. Doch es schneit und mein Blick geht in eine schöne Winterwelt – eine Überraschung.

So habe ich Zeit, meine Gedanken zu ordnen. In den Zeitungen (Die Zeit und FAZ) fand ich in den letzten beiden Tagen Berichte über

Die Meinungen zu den komplexen Vorgängen sind kontrovers – ich versuche, meine Position zu bestimmen.

Während meines Studiums in Frankfurt (1965 - 1967) hatte ich mich auch mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigt. Fasziniert war ich von den staatspolitischen Vorlesungen von Carlo Schmid und über die Soziallehre von Oswald von Nell-Breuning SJ. Die Ausstrahlung der beiden sehr unterschiedlichen Professoren mit ihren geschliffenen Formulierungen beeindruckt mich bis heute.

So war es folgerichtig, dass ich mich dann nach meinem Wechsel an die Uni Mainz in der Studentenpolitik engagiert hatte. Als stellvertretender Asta-Vorsitzender 1968 musste ich entscheiden, ob wir auch ein „politische Mandat“ hatten; durfte ich eine Stellungnahme des ASTA gegen die NPD abgeben, die damals in Baden-Württemberg über 11 % der Stimmen gewann, oder zum Anschlag auf Rudi Dutschke, gegen den Vietnam-Krieg ? – Ich tat es.

Während meines Praktikums in San Francisco 1969 (nach dem Diplom-Examen) las ich "Pax Americana" ein Buch von ca. 500 Seiten (den Autor habe ich vergessen). Das fällt mir jetzt wieder ein, beim Lesen der Berichte über den amerikanischen Wahlkampf.

Die staatsphilosophischen Gedanken von Carlo Schmid, der auch einer der Väter des Grundgesetzes war, waren gespickt mit Zitaten der Ideen der griechischen Philosophen, der großen französischen Aufklärer (Voltaire, Montesquieu, Rousseau) und der englischen Staatstheoretikern (Locke, Hobbes). Sie bilden zusammen mit dem Evangelium und den bedeutenden Papst-Enzykliken „Rerum novarum“ und „Quardragesimo anno“ die Basis der Vorlesungen Nell-Breunings.

Ich konnte schon 1969 diese Lehren nicht mit den Gedanken des "Pax Americana" in Übereinstimmung bringen. Am "american way of life" störte mich die Verabsolutierung der persönlichen Freiheit und des Eigennutzes und dem damit verbundenen Rückgang sozialer Solidarität, die Fokussierung auf das diesseitige Glück, dem in der Verfassung postulierten "pursuit of happiness".

Unsere Tochter Maryvonne erzählte uns am letzten Sonntag, wie unverständlich es für ihre auch zum Teil farbigen Kolleginnen und Kollegen war, als sie sich vor einigen Jahren in Kalifornien eine Karte für ein öffentliches Konzert mit Mary J. Blige in Oakland kaufte. Sie gaben ihr strenge Verhaltensregeln mit auf den Weg, denn sie sei sicher die einzige Weiße. Sie ging trotzdem hin, das Konzert war großartig, aber sie war doch froh, als sie wieder mit ihrem Auto im Hotel war.

Ähnlich erging es uns, als wir vor einigen Jahren einen Zwischenstopp in Newark nutzten, um einmal in diese nur durch den Hudson-River von New York getrennte "schwarze" Stadt fuhren. Überall bewaffnete Wachposten, der Weg vom schönen Art-Deco-U-Bahnhof zu einem modernen Versicherungsgebäude war wie bei Raubtier-Vorführungen durch einen Glas-Übergang geschützt (wobei die "Raubtiere", die Bevölkerung von Newark, außen sind). In den Großstädten Europas gibt es auch Parallelwelten, aber nicht so krass und es wird doch versucht, sie durch gezielte Maßnahmen zu durchbrechen. Ich kenne in Deutschland keine "No-go-Areas", wie sie es in den USA in vielen Großstädten gibt.

1969 hatte ich noch die Hoffnung, dass sich der Sozialstaatsgedanke, der sich z.B. auch in unserem Grundgesetz in Art. 14 niederschlägt ("Eigentum verpflichtet"), auch in den USA durchsetzten könnte. Der Satz John F. Kennedy‘s: "Überlege nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern überlege was du für den Staat tun kannst", führte zu einem großen Zulauf zum Peace Corps, einem Freiwilligen-Engagement in Elendsvierteln und Entwicklungsländern. Auch nach dem Wahlsieg Willy Brandts hatte ich Hoffnung auf eine bessere Welt.

Nach den aktuellen Berichten reduziert sich der Anspruch "Pax Americana" auf den Anspruch der USA, die Welt mit Hilfe der Ideen und Konzepte des freien Handels, des evangelikalen Christentums und der Freiheit nach amerikanischem Verständnis durchzusetzen. Wenn Obama zu Fairness im Steuersystem aufruft und eine Mindeststeuer von 30 % ab einem Einkommen von einer Million Dollar fordert, sehen seine republikanischen Rivalen die Freiheit bedroht. Die Einführung einer moderaten Krankenversicherung sehen sie als Einstieg in den Kommunismus. Auch die kleinen Schritte Obamas in Richtung ökologischer Standards werden gegeißelt. Das Kyoto-Protokoll konnte immer noch nicht unterzeichnet werden. Die USA sind der ökologische Blockierer und gefährden so die Zukunft der Menschheit.
Die USA werden keine "Soziale Marktwirtschaft" entwickeln, muss ich heute resignierend feststellen.

In diesem ganz anderen gesellschaftspolitischen Denken sehe ich auch den Zwist in der Bewältigung der weltweiten Finanz- und Bankenkrise begründet. Nach US-amerikanischen Vorstellungen sollte der Schuldenabbau in Europa primär durch den Abbau des Sozialstaates und die Reduzierung der Infrastruktur erfolgen, damit die Hedge-Fonds keine Verluste erleiden. Mit dem Ausbau des ausufernden Finanzsystems, das nur mit Hilfe der Gewinn-orientierten Ratingagenturen möglich war, bestimmen diese Finanzmogule über die Entwicklung ganzer Staaten. Durch Spekulationen auf Verluste verdienen sie Milliarden und niemand gebietet ihnen Einhalt. Die Versuche, diese Profiteure über eine Finanztransaktionssteuer ein bisschen an den Risikokosten zu beteiligen wird aus ideologischen Gründen verhindert. Steuern auf Milliardengewinne werden als Eingriffe in die Freiheit des Handels strikt zurück gewiesen. Dass elektronische Handelssysteme, die in Nanosekunden Kursunterschiede ausnutzen, wird als absolut transparenter Markt verherrlicht – dass dadurch Firmen und ganze Länder durch Spekulationen bis zur Vernichtung verstrickt werden können, nimmt man in Kauf.
Gewinner der Bankenkrise sind übrigens islamische Banken, die das Zinsverbot des Koran beachten, keine Spekulationsgeschäfte machen dürfen und deshalb nicht in die Krise geraten sind. Bei Ihnen sollen schon über 800 Mrd. Dollar angelegt sein.

Ist es christlich, möglichst hohe Rendite mit Spekulationen zu erzielen, und dabei extreme Negativeffekte in Kauf zu nehmen? (Darüber muss ich als eingefleischter Banker noch einmal separat nachdenken.)

Auf dem Weltwirtschaftsgipfel fordern viele Redner eine Reform des Kapitalismus, aber ebenso viele verteidigen das System als das Beste das es je gab. Ein System der sozialen Marktwirtschaft wie es in den 60/70er Jahren in der Bundesrepublik entwickelt wurde, wird als sozialistisch, mit dem Sowjet-System gleich gesetzt und verteufelt. Freiheit im Sinne des Grundgesetzes ist nicht mit "freedom" ins Amerikanische zu übersetzen, die Inhalte sind zu unterschiedlich.

Die Eurokrise wird von amerikanischen Politikern und den Ratingagenturen auch benutzt, um Europa zu schwächen - wesentliches Ziel der pax americana, denn die europäischen Einzelstaaten sind viel leichter zu dominieren als ein vereintes Europa.

Ich bin überzeugt, wenn es gelingt, Griechenland aus dem Euro heraus zu brechen, werden die Spekulanten anschließend sich Portugal, Spanien, Irland usw. vornehmen. Deshalb halte ich die derzeitige Politik der deutschen Regierung für sehr gefährlich. Es ist richtig, dass die Euro-Länder ihre Haushalte konsolidieren müssen, dazu ist vielleicht auch Druck auf einzelne Länder nötig, aber wie in einer Familie müssen Maßregelungen intern erfolgen, nach Außen ist ein einheitliches Handeln erforderlich. Ich halte auch Berichte für wenig hilfreich, die darauf hinweisen, dass Deutschland nicht zu viele Lasten tragen kann, mehrere hundert Milliarden Garantien seien eine Überforderung.

Als ich in den 70er Jahren auch Auslandsgeschäft unterrichtete (und mit einem Kollegen ein Standardwerk darüber schrieb) konfrontierte ich die Seminarteilnehmer mit den Handelsbilanzüberschüssen und bezeichnete sie als "Entwicklungshilfe" des Auslandes für Deutschland. Diese Provokation löste immer eine heftige Diskussion aus, aber hoffentlich auch eine Nachdenklichkeit. Unsere Exportüberschüsse sind auf jährlich über 100 Mrd. Euro gestiegen, auch weil der Außenwert der DM nicht mehr aufgewertet werden kann. Wir profitieren in besonderem Maße von der europäischen Einheitswährung, weil so unsere Anstrengungen, die Stückkosten zu senken, nicht mehr durch Aufwertungen kompensiert werden können. Wenn wir Europa stärken wollen, müssen wir den durch Spekulationen angegriffenen Staaten helfen, damit die Spekulanten keine Chance haben.

Wir müssen den überschuldeten Staaten durch einen umfassenden Garantie-Schutzschirm helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Hilfen müssen von gezielten und kontrollierten Investitionen begleitet werden, damit die Menschen in den Ländern wieder Zuversicht gewinnen, dass die wirtschaftliche Lage in den Ländern wieder besser werden kann. Die hohe Arbeitslosigkeit vor allem bei gut ausgebildeten Jugendlichen ist nicht akzeptabel, sie ist ein Sprengsatz für die Demokratie und den europäischen Zusammenhalt.
Das Subsidiaritätsprinzip ist ein wesentliches Element der katholischen Soziallehre, diese Prinzipien sind heute Grundprinzipien eines solidarischen Christentums. Wir haben praktische Beispiele in Indien und in Südamerika kennen gelernt. Es lässt ein kapitalistisches (angemessene Renditen) System mit menschlichem Antlitz erkennen, das der pervertierten pax americana vorzuziehen ist. Das Prinzip der Grameen-Bank in Bangladesch (gegründet vom Nobelpreisträger Muhammad Yunus) oder der christlich-kirchlichen Poor-People's-Banks in Südindien zeigt, dass Banken für Menschen viel Gutes bewirken können. Wir verfügen mit dem Sparkassen- und Volksbanken-Systemen über eine langjährige positive Tradition. Sie sollten nicht im Rahmen von Basel III mit risikoreichen Investmentbanken in einen Topf geworfen werden. Der Genossenschaftsgedanke und Unternehmen in öffentlicher Hand sollten als Wettbewerbsfaktoren gestärkt werden, damit ein übersteigerter kapitalistischer Wettbewerb zu Lasten der Bürger erschwert wird.

Wenn die "counter-balance" fehlt, dann findet Wettbewerb nur noch im Übernahmekampf von Konzernen statt und es steigen die Gefahren für die Beschäftigung und die Umwelt.

Der Erfolg der deutschen Wirtschaft wird auch auf die mittelständische Unternehmensstruktur in Deutschland zurückgeführt, sie zu stärken muss das Ziel sein – sie kann Vorbild sein für andere europäische Länder. Damit haben wir ein "Alleinstellungsmerkmal", das zu verteidigen ist gegen das Vormachtstreben US-amerikanischer Konzerne.

In bin überzeugt: Deutschland mit seiner negativen demografischen Bevölkerungsstruktur ist in einer globalen Wirtschaft zu schwach, sich gegen Angriffe von Spekulanten zu verteidigen, nur in einem gestärkten Europa haben die Menschen eine gesicherte, friedliche Zukunftsperspektive.

28.1.2012 4.30 Uhr

Jetzt, wo ich diese Zeilen noch einmal durchlese, bin ich überrascht, wie viele Gedanken und persönliche Erfahrungen ich verquickt habe, aber sie kommen mir beim Lesen einzelner Zeitungsberichte in den Kopf. Ich empfinde es als wohltuend, mich dann hier an diesen Platz mit der schönen Aussicht setzen zu können und sie aufzuschreiben, wobei natürlich immer weitere Gedanken einfließen. Ich empfinde Dankbarkeit und Gelassenheit, wenn ich diese Rückblicke mit aktuellen weltpolitischen Themen verknüpfen kann.

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